Ableitung oder Herleitung

»Ich stehe beim Unterschied zwischen ableiten und herleiten ziemlich auf der Leitung.«

»Bei der Ableitung – modern sagt man gerne Top-down – wird beispielsweise vorausgesetzt, dass Menschen sterbliche Wesen sind. Nun betrachtet man Platon und Aristoteles. Stellt man fest, dass sie Menschen sind, müssen sie deren generelle Eigenschaften besitzen, also sterben. Vom Übergeordneten schließt man auf das Konkrete.

Bei der Herleitung – dem Bottom-up – nimmt man Fallbeispiele für Menschen, etwa Platon, Aristoteles sowie etliche andere. Stellt man fest, dass alle starben, schließt man von den Einzelfällen auf das Gemeinsame: Menschen sind sterbliche Wesen.«

»Also gehüpft wie gesprungen.«

»Bei diesem Beispiel scheint es so. Doch denke an die Behauptung, nachts wären alle Katzen grau. Gilt diese als wahr, etwa weil sie von einer Autorität stammt, kann man auf den Einzelfall schließen. Da Lucy und Leo Katzen sind, müssen sie nachts grau sein. Man gewinnt das Wissen mühelos durch logisches Folgern.

Beim Weg der Herleitung betrachtet man die Beispiele Lucy und Leo im Tageslicht. Man stellt fest, dass das erste Untersuchungsobjekt rötlich gestreift ist, das zweite schwarz. Also wechseln zumindest diese zwei Katzen nachts die Farbe, oder sie sind nur scheinbar nachts grau. Das aber kann man durch nächtliche Beobachtung im Lichte einer Laterne prüfen. Man gewinnt Wissen durch Erfahrung.«

»Dann ist dieser Weg der bessere!«

»Er hat auch seine Schwächen. Denn zur Absicherung bedarf es vieler Beispiele. Man muss hohen Aufwand treiben. Was für Platon und Aristoteles gilt, könnte auf Methusalem nicht zutreffen. Stirbt der nicht, so reicht diese eine Ausnahme als Gegenbeweis. Da man nicht jeden Einzelfall analysieren kann, sind Schlussfolgerungen nur mehr oder minder wahrscheinlich.

»Bei der Ableitung bleibt dagegen offen, ob die Voraussetzung überhaupt wahr ist. Stimmt sie nicht, sind alle Folgerungen falsch.«